I Der Schlüssel
Frau Hermann: Ich hab den Schlüssel gefunden.
Herr Fraumann: Welchen?
Frau Hermann: Den zur Wahrheit.
Herr Fraumann: Ach, ich dachte, du meinst den Haustürschlüssel.
Frau Hermann: Nein, den hab ich verloren.
Herr Fraumann: Und den zur Wahrheit gefunden. Das ist ein Tauschgeschäft, wie man’s selten macht.
Frau Hermann: Ich weiß nicht, ob er passt.
Herr Fraumann: Zur Wahrheit?
Frau Hermann: Nein, zur Haustür.
Herr Fraumann: Dann ist es vielleicht gar nicht deine Wahrheit.
Frau Hermann: Aber er glitzert so schön.
Herr Fraumann: Glitzernde Wahrheiten sind gefährlich. Ich hatte mal eine – die hat im Regen nachgegeben.
Frau Hermann: Vielleicht war das gar keine Wahrheit, sondern Alufolie.
Herr Fraumann: Möglich. Aber sie hat mir den Weg gezeigt.
Frau Hermann: Wohin?
Herr Fraumann: Zum Kühlschrank.
Frau Hermann: Dann war’s bestimmt Alufolie.
II. Die Richtung
Herr Fraumann: Also, wenn wir schon den Schlüssel haben, sollten wir wissen, wohin.
Frau Hermann: Nach links.
Herr Fraumann: Das ist keine Richtung, das ist eine Haltung.
Frau Hermann: Ach so. Dann eher entspannt.
Herr Fraumann: Ich meinte geografisch.
Frau Hermann: Ach, geografisch bin ich neutral.
Herr Fraumann: Das ist gefährlich. Wer zu lange neutral bleibt, landet in der Schweiz.
Frau Hermann: Dann nehme ich rechts.
Herr Fraumann: Jetzt wird’s politisch.
Frau Hermann: Nein, praktisch. Ich bin Linkshänderin.
Herr Fraumann: Dann müsstest du doch nach links wollen.
Frau Hermann: Eben.
Herr Fraumann: Aber du hast gerade gesagt, du gehst nach rechts.
Frau Hermann: Weil ich links schreibe.
Herr Fraumann: Und was hat das mit Gehen zu tun?
Frau Hermann: Alles. Der Körper weiß mehr als die Karte.
Herr Fraumann: Das erklärt, warum mein Navi ständig weint.
Frau Hermann: Vielleicht will es einfach mal verstanden werden.
Herr Fraumann: Das glaube ich nicht. Es sagt dauernd „bitte wenden“.
Frau Hermann: Klingt nach Verzweiflung.
Herr Fraumann: Nach Beziehung.
Frau Hermann: Dann füttere es besser.
Herr Fraumann: Mit Daten oder mit Gefühl?
Frau Hermann: Mit beidem. Aber getrennt, sonst verklumpt es.
III. Das Missverständnis
Herr Fraumann: Ich glaube, wir reden aneinander vorbei.
Frau Hermann: Ich steh doch direkt vor dir.
Herr Fraumann: Ich meine sprachlich.
Frau Hermann: Ach so. Ich dachte, akustisch.
Herr Fraumann: Nein, semantisch.
Frau Hermann: Semantisch? Das klingt wie ein Gewürz.
Herr Fraumann: Nein, das ist Bedeutung.
Frau Hermann: Dann gib mal her, ich probier.
Herr Fraumann: Man kann Bedeutung nicht probieren.
Frau Hermann: Doch. Wenn’s scharf ist, ist’s Meinung.
Herr Fraumann: Und wenn’s fad ist?
Frau Hermann: Tatsache.
Herr Fraumann: Dann bin ich heute wohl eine Tatsache.
Frau Hermann: Glückwunsch. Ich bin Ambivalenz mit Pfeffer.
Herr Fraumann: Klingt wie ein Cocktail.
Frau Hermann: Nur montags. Dienstags bin ich ein Konzept.
Herr Fraumann: Und mittwochs?
Frau Hermann: Dienstags mit Restzweifel.
Herr Fraumann: Das erklärt einiges.
Frau Hermann: Nein, das verkompliziert nur.
Herr Fraumann: Aber wir wollten doch klären, was wir meinen.
Frau Hermann: Ich meine, was ich sage.
Herr Fraumann: Und ich sage, was ich meine.
Frau Hermann: Dann ist ja alles geklärt.
Herr Fraumann: Überhaupt nicht.
Frau Hermann: Gut. Dann bleiben wir dabei.
IV. Die Auflösung (die keine ist)
Frau Hermann: Also. Wir fassen zusammen.
Herr Fraumann: Ich hab nichts gefasst.
Frau Hermann: Sprachlich!
Herr Fraumann: Ich hab auch nichts Sprachliches gefasst.
Frau Hermann: Dann eben gedanklich.
Herr Fraumann: Gedanklich bin ich voll.
Frau Hermann: Von was?
Herr Fraumann: Von dir.
Frau Hermann: Das ist lieb.
Herr Fraumann: Nein, ich meine: Ich versteh dich einfach nicht mehr.
Frau Hermann: Ach so. Dann geht’s dir wie mir.
Herr Fraumann: Wenigstens sind wir uns da einig.
Frau Hermann: In der Uneinigkeit.
Herr Fraumann: Genau.
Frau Hermann: Also sind wir jetzt synchron.
Herr Fraumann: Theoretisch ja.
Frau Hermann: Praktisch nein.
Herr Fraumann: Aber immerhin gleichzeitig.
Frau Hermann: Das ist ein Anfang.
Herr Fraumann: Oder ein Ende.
Frau Hermann: Beides gleichzeitig?
Herr Fraumann: Möglich.
Frau Hermann: Dann sind wir wohl angekommen.
Herr Fraumann: Wo?
Frau Hermann: Keine Ahnung.
Herr Fraumann: Perfekt.
(Stille. Beide nicken. Ein Vogel fliegt gegen die Scheibe.)