Der Schleifer

Eine Geschichte aus Staub und Wasser

1. Der Schnitt

Es ist dasselbe Geräusch wie immer.
Rau. Langgezogen. Fast klagend.

Dann Staub.
Immer Staub.

Er legt sich auf Hände, Haut, Gedanken.
Die Werkstatt riecht nach Wasser und Metall –
nach Reibung, die nicht enden will.

Der Mann steht hier seit Jahren.
Tag für Tag.

Die Maschine diktiert den Takt.
Sie summt, sie frisst,
und er hält dagegen.

Der Stein ist roh, grau, widerspenstig.
Er klingt noch.
Zu hell.
Zu wach.

Das Messer taucht ins Wasser,
zieht eine Linie – kaum sichtbar.
Aber sie verändert alles.

Er atmet tiefer.

Schneiden ist ein altes Wissen.
Etwas entspannt sich,
etwas zieht sich zusammen.

Geräusch. Druck. Bewegung.
Ein Gebet, das keiner mehr versteht.

Draußen fliegt Staub im Licht.
Drinnen tropft Wasser.

Langsam. Regelmäßig.
Wie eine Uhr, die niemand liest.

2. Der Schliff

Der erste Schnitt ist kaum zu sehen.
Doch der Stein merkt ihn.

Er antwortet mit Klang –
ein feines, unruhiges Summen.

Der Schleifer beugt sich vor.
Wasser rinnt über die Finger.
Kühlt. Spült. Kehrt wieder.

Alles kehrt wieder hier.

Die Bewegung ist gleichmäßig,
eine Zärtlichkeit aus Gewohnheit.

Er hört jeden Ton –
den hellen, den dumpfen,
die Zwischenräume dazwischen.

Das Geräusch füllt den Raum,
ein Atem aus Staub und Wasser.

Manchmal spiegelt sich sein Gesicht im nassen Stein –
verzerrt, verschwommen.

Er erkennt sich nicht.
Und das beruhigt ihn.

Die Luft schmeckt nach Staub.
Der Stein wird stiller –
oder das Ohr gewöhnt sich an ihn.

Draußen klappert eine Blechplatte im Wind.
Ein Ton, der dazugehört.
Weil er immer schon da war.

Das Wasser läuft trüb,
dick vom Stein.

Er lässt es, wie es ist.
Es gehört zum Prozess.

Er denkt:
Es ist gut, wenn der Stein lernt,
leiser zu werden.

3. Der Druck

Seine Hände werden langsam müde.
Und das ist gut.

Müdigkeit macht die Bewegung weich.

Die Schleifscheibe glüht feucht im Licht,
dreht sich wie eine Sonne ohne Untergang.

Er legt den Stein auf.
Ein dumpfes Knurren –
das durch die Finger geht,
bis in den Körper.

Er drückt fester.

Der Ton kratzt.
Ruft.
Verstummt.

Manchmal glaubt er,
der Stein wehre sich.

Dann denkt er,
vielleicht soll er das.

Man muss ihn brechen,
bevor er brauchbar wird.

Feine Linien überziehen die Fläche –
ungeplant, echt.

Er streicht darüber.
Warm. Glatt.
Darunter ein Puls.

Er hält inne.
Da ist noch Klang.
Ein Rest, kaum hörbar.

Er drückt noch einmal.
Noch einmal.

Der Ton bricht.
Stille.

Wasser tropft.
Findet seinen Weg.

Er hebt den Stein.
Er glänzt.
Aber er klingt nicht mehr.

4. Der Glanz

Er legt den Stein auf das Polierleder.
Die Maschine summt leiser –
fast freundlich.

Die Luft riecht nach Staub und Abend.
Ein feiner Film liegt auf der Haut.

Der Stein folgt der Bewegung.
Willig. Stumm.

Licht bricht über die Fläche.
Schön, ja –
aber leer.

Er prüft im Schräglicht.
Kein Makel.
Kein Ton.

Ein Auge im Stein.
Sein eigenes.
Vergrößert. Fremd.

Der Glanz blendet.
Er senkt den Blick,
legt das Werkstück ab.

Die Hände sind taub.
Sie wissen nichts mehr von sich.

Das Wasser ist grau,
durchzogen von Schlieren.

Er schaltet ab.
Das Surren bleibt noch einen Herzschlag.
Dann nichts.

Er lauscht.
Die Werkstatt hält den Atem an.

Nur sein eigener ist noch zu hören.
Zu laut.

Draußen fällt das Licht.
Ein Tag geht –
wie viele vor ihm.

Er streicht über den kalten, glatten Stein.
Und fühlt nichts.

5. Nachklang

Er sitzt.
Die Maschine ist längst still,
doch ihr Echo hängt noch in der Luft –
wie Staub, der nicht zu Boden will.

Er legt die Hand auf den Tisch.
Das Holz ist feucht.
Sein Abdruck bleibt kurz.
Verschwindet.

Er öffnet die Tür.
Kühle Luft. Regen.
Stille, die atmet.

Er dreht sich noch einmal um.

Die Werkbank.
Die Reihe der Steine.
Grau. Schön. Stumm.

Im Abfluss rinnt Restwasser –
ein dünner Ton.
Gläsern. Echt.

Er neigt den Kopf.
Vielleicht hört er ihn.
Vielleicht auch nicht.

Er denkt:
Vielleicht war der Stein schöner,
bevor er ihn still gemacht hat.

Aber so hätte er ihn nicht verkaufen können.

Dann geht er.
Kein Blick zurück.
Nur Tropfen.
Unregelmäßig.

Belästige auch andere mit diesem Beitrag